Wie die Identitätslinke die Verhältnisse per do it yourself selbst verschleiert
01.09.2006, 17:03
"Scheiß ihm in die Stiefel. Scheiß sie ihm randvoll!"
( Helge Schneider )
Es geht im vorliegenden Papier nicht darum, Menschen zu kritisieren weil sie sich Fahrräder auf dem Sperrmüll holen oder Platten unter Freunden tauschen. Das ist eine private und pragmatische Form des Zurechtkommens, die auch ich selbst oftmals wähle. Daraus aber einen gesellschaftlichen und normativen Anspruch abzuleiten und diesen durchsetzen zu wollen, ist das eigentliche Problem, dem sich hier gewidmet werden soll.
Anlass dieser Zeilen ist das lange praktizierte und nicht zu knapp ideologisch aufgeladene do it yourself-Prinzip, das im Umgang von Musiklabels - wie unterm durchschnitt eines ist - auf vielfältige Weise seinen Ausdruck findet. Eines davon ist die Abnahme meiner Platten von Leuten, die sie an Konzertständen oder via Mailorder feilbieten. Was sich für das Label als toll darstellt, gerinnt allerdings zur Merkwürdigkeit, wenn man im Gegenzug für die eigenen Veröffentlichungen lediglich die LP's oder CD's der KollegInnen überreicht bekommt. Die Indie-Arithmetik funktioniert dabei mit einem simplen ?Platte gegen Platte?- und "2 CD's gegen eine LP"-Rechenzug. Wie teuer und aufwendig die eigene Produktion war, interessiert niemanden.
Dabei geht es mir aber nicht um einen Lobgesang auf die Praktikabilität des Geldes. Es scheint d.i.y. -technisch entweder als nicht existiert zu gelten oder wird zumindest mit einer großen "antikapitalistischen Geste" als Teufelszeug vom Tisch gewischt. Der sich darin Bahn brechende krude Blick auf die Verhältnisse soll vielmehr Gegenstand dieser verschriftlichten Augenkorrektur sein.
Schräge Ansichten über Geld und Waren in einer sich unabhängig fühlenden Identitätslinken offenbaren tagtäglich neuen Schmu. Über die absurdeste Idee, sich in den herrschenden Verhältnissen als unabhängig wahrnehmen zu können, entspinnt sich ein Wunsch nach Ursprünglichkeit, dem autarken Leben, "außerhalb vom Kapitalismus". Also das Getreide- und Sojafeld im Hinterhof angelegt und die Milchkuh unter dem Hochbett in den eigenen 16 Quadratmetern? Mit Nichten! Denn nach dem Zähneputzen ist der Gang zum Bäcker ist so alltäglich wie die Fahrt mit der Bahn oder dem Auto und auch das klapprige Damenrad ist nicht vom Himmel gefallen. Produkte und Dienstleistungen mögen sich in ihrer stofflichen Form unterscheiden (Zahnbürste, Brot, Fahrrad, Bahnfahrt), doch darf das nicht darüber hinweg täuschen, dass sie unter Verausgabung menschlicher Arbeit in einem gesellschaftlich arbeitsteiligen Prozess verrichtet werden. Abstrakte menschliche Arbeit ist die Substanz der Warenwerte. Die Wertform ist von der Ware nicht zu lösen!
Warenform
Der "Reichtum der Gesellschaft erscheint als eine "ungeheure Warensammlung", die einzelne Ware als seine Elementarform" ( Marx :49, Hervorhebung im Original) . Die Waren selbst repräsentieren also selbst den Wert. Voraussetzung ist einzig und allein, dass darin Arbeit dargestellt ist, die durch Tausch übertragen wird. Das Produkt muss "dem andern, dem es als Gebrauchswert dient, durch den Austausch übertragen werden" ( Marx:55 ). Nur Produkte selbstständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber. ( Marx:57 ). Einem Ding haftet die Warenform also nicht allein deshalb an, weil es beispielsweise mit Geld gehandelt werden kann oder handelbar ist. Der Wert selbst ist das Gemeinsame aller Waren.
Egal auf welche Art und Weise oder durch wen sie getauscht werden, macht es sie generell vergleichbar untereinander. Es geht weniger um die Form des Austauschs, als um ihren Inhalt, also was sich im kapitalistischen Tausch realisieren soll - der Wert nämlich.
Warentausch passiert im Kapitalismus immer und überall.
"In einer Gesellschaft, die auf Warentausch beruht, muss jede und jeder der Logik des Tausches folgen, wenn er oder sie überleben will."
Michael Heinrich
Erscheinen der Wertform "Geld"
Geld, als zunächst eine von unendliche vielen Wertformen, hat dabei drei wesentliche Funktionen. Es dient als Maß der Werte, Zirkulationsmittel und als Geld selbst. Als Maß der Werte vermag es der "Warenwelt das Material ihres Wertausdruckes zu liefern, oder die Warenwerte als gleichnamige Größen, qualitativ gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustellen" ( Marx:109 ). Die Funktion ist also eine rein ideelle, d.h. gedachte. Real muss Geld dabei gar nicht in Erscheinung treten, denn "es steht [?] dem Wert nicht auf die Stirn geschrieben, was er ist." ( Marx :88).
Als Zirkulationsmittel tritt Geld als vermittelnde Instanz zwischen den unmittelbaren Warentausch. "Geld ist hier in dieser Bestimmung die wirkliche Erscheinung des Tauschwerts, d.h. der in der Ware schlummernde Gegensatz von Tauschwert und Gebrauchswert vergegenständlicht sich in den Erscheinungsformen der Ware und des Geldes. Entscheidend bei dieser Bestimmung ist, dass das Geld hier nur ein Mittel ist und dass es keinen anderen Zweck hat als den, ein Mittel zu sein." ( Mele:110/18 ) Durch Vergüten der Arbeiten mit dem allgemeinen Tauschmittel wird der Charakter der Arbeiten und "daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Arbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren". Karl Marx nannte dieses den Warenfetischismus ( Marx:86f ). Die Schlussfolgerung, durch individuelle Verhaltensweisen wie dem Tausch Ware gegen Ware würde man auch nur annähernd die Verhältnisse touchieren, muss aus diesen und den oben erläuterten Gründen als blanker Unsinn abgetan werden. Es gibt keinen Dualismus zwischen Warentausch und Tausch mittels Geld, wie ihn D.I.Y.-Mythologen gerne herbei phantasieren. Somit kann es für das geschilderte Dilemma auch nicht einfach den Rückwärtsgang daraus geben. Dieser wird aber, aufbauend auf dieser simplifizierten Kapitalismus-Auffassung, als Allheilmittel verkauft. Ein reiner Irrläufer. Mehr noch. Eine Ware kann sich durch keine Tauschmethode von dem, ihr anhaftenden gesellschaftlich vermittelten, Wertcharakter lossagen. Es spricht nichts dagegen, alternative Tauschformen zu betreiben. Der Illusion, damit irgendetwas am Kapitalismus ändern zu können, sollte man aber nicht erliegen. Das Geld wird gesamtgesellschaftlich weitestgehend als das einzige Zahlungsmittel akzeptiert. Das liegt an seiner Schrankenlosigkeit. Es repräsentiert ganz allgemein den stofflichen Reichtum, da es in jede Ware unmittelbar umsetzbar ist. ( Mele:110/18 ). Die Geltung des Werts und der Warenform beruht auf ihrer vorgefundenen, also nicht vom Einzelnen gemachten, und ständig massenhaft reproduzierten Universalität. Daher wird ein Wert nicht unmittelbar in Zahnbürsten, Broten oder Bahntickets aufgewogen, sondern als Preis gemessen. Daher wird dir kein Bäcker ein Brötchen gegen eine Zahnbürste eintauschen, selbst wenn seine schon ganz ausgefranst ist und er sich dringend eine neue kaufen sollte.
"Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es"
Karl Marx
Wenn ich Geld habe, kann ich mir direkt daraus mein Leben bestreiten. Wenn ich eine andere Ware (oder mehrere) im Tausch bekomme, wie Platten, dann muss ich erst diese wiederum verkaufen um dann etwas zu bekommen, mit welchem ich meinen täglichen Bedarf decken kann. Das ist der Kern beim D.I.Y.-Schwindel. Nicn Handeln eine Bedeutung oder Aktionspotenz beigemessen wird, die es gar nicht besitzt, nämlich irgendeine "transzendente", gegen die Wertgesellschaft kritische Tendenz zu realisieren. Die beigemessene Bedeutung meint das genaue Gegenteil für diejenigen, die es mitausüben sückschritt in eine niedrigere Form des wirtschaftlichen Handels, eine niedrigere Form der Arbeitsteilung und die Herstellung der eigenartigen Unmittelbarkeit einer Subsistenzwirtschaft, die nur sporadisch tauscht und die eigene, "kreative" Privatarbeit gegen die abstrakte, entfremdete Arbeit im Kapitalismus hochhält. Das ist, als bestünde meine Kritik an der Demokratie im Einfordern eines vergangenen Zustandes, der mir in meinen Gedanken in den schillerndsten Farben erscheint. In der Praxis würde er aber Monarchie oder Schlimmeres bedeuten. Das Modell von Pseudo-Aktivität versucht also, bei den "unfreien, in ihrer Spontaneität gelähmten Einzelnen die Zuversicht zu erwecken, auf sie käme es an." ( Adorno )
Es sollte nicht um die Rettung des wirtschaftlichen Potentials des Kapitalismus und damit seiner schlechten Realität gehen. Die übergroße Mehrheit der Gesellschaft ist permanent von dem produzierten Reichtum ausgeschlossen, sie hat marginales Eigentum und also auch kein Geld, vermittels dem sie sich das schlechte Leben vergolden könnte - sie trägt die Kosten der Freiheit. Eine Änderung dieses Zustandes bedeutete die Nutzbarmachung des Potentials für einen gänzlich anderen Zweck und damit die Einrichtung einer menschlichen Gesellschaft - aber nicht der Verzicht auf das Potential, das Luxus produziert und Arbeit erspart. Marx verwandte dazu den Hegelschen Begriff des Aufhebens. Der Kapitalismus wird aufgehoben, indem ihm eine bewusstes Ende gemacht, aber seine Produktivkräfte aufbewahrt, um sie auf eine höhere Stufe zu heben. Das ist im Übrigen das genaue Gegenteil dessen, was D.I.Y.-Menschen wollen, den bewusstlosen Rückschritt auf eine historisch primitivere Stufe.
Fazit
D.I.Y. ist die kreative Zelle der Verhältnisse selbst. Sie werden darin einem Refreshment unterzogen. Es macht keinen Sinn, aus den genannten Gründen am Warentausch festzuhalten, weil er die angeblich bessere Form des Tauschgeschäftes sei. Schon gar nicht ist der Tausch Ware/Ware antikapitalistisch. Es setzt die Vereinzelten vielmehr einem gesteigerten Leistungsdruck aus und verschärft damit die individuelle Situation. D.I.Y.-Kultur ist rückwärtsgewandt, weil des den Verzicht auf das Potential bedeutet, welches Luxus produziert und Arbeit erspart. Überhaupt ist die Dimension des Geldes ist nicht einfach aus der Ware herauszustreichen, nur weil es nicht physisch als solches beim Tauschgeschäft in Erscheinung tritt. Somit wirkt Do It Yourself als weiterer romantischer Schleier über den Verhältnissen.
- Erstens ist der Kapitalismus nicht vom individuellen Handeln oder Nicht-Handeln abhängig, d.h. das persönliche Verhalten ist es nicht, das den Kapitalismus konstituiert. Es ist ein gesellschaftliches Verhältnis, eben das der Warenproduktion. Man ist nicht "kein Warensubjekt" mehr, nur, weil man keins mehr sein möchte.
- Zweitens spricht zunächst nichts dagegen, irgendwelche alternativen "Tauschformen" zu betreiben. Man sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, damit irgendetwas am Kapitalismus ändern zu können. Die Geltung des Werts und der Warenform beruht auf ihrer vorgefundenen, also nicht vom Einzelnen gemachten, und ständig massenhaft reproduzierten Universalität.
- Drittens steht man vor einem Immanenzproblem. Man bewegt sich durch "alternatives Wirtschaften" oder ähnliches in Wirklichkeit keinen Millimeter aus dem Kapitalzusammenhang heraus. Was man eigentlich tut, ist, eigene Produkte der Zirkulation zu entziehen und sich damit einzig und allein selbst zu schädigen. Denn eine andere Möglichkeit, im Kapitalismus materiell über die Runden zu kommen als über ein ?Mitmachen? im Kapitalismus gibt es nicht. Der korrekte Begriff hierfür ist Selbstausbeutung. Wer das machen will soll sich frei fühlen, das zu tun; es aber nicht von anderen einfordern.
- Viertens: Dem Ideal des direkten Tauschs, der "ausbeutungsfreien" oder auch "einfachen Produktion" klebt von Grund auf ein falsches weil fetischistisches Verständnis des Kapitalismus an, dass nämlich der Kapitalismus erst zum Problem in der Zirkulation bzw. Distribution werde. Es gäbe also ein Verteilungsproblem . Diese Leute wollen den Kapitalismus nicht abschaffen ? sonst würden sie ja Argumente gegen die kapitalistische Produktion formulieren ?, sondern einzig ein paar Spielregeln ändern. Ware und Wert verschwinden nicht.
Das D.I.Y.-Bild stimmt hinten und vorne nicht. Ein Wunder, dass man in diesen Stiefeln überhaupt noch gehen kann.
"Ihhh. Wer hat mir da in die Stiefel gekackt?"
Der Edelmann
Andreas.
Danke für den Grip unter den Füßen an Felix Le., Beatpunk Sebastian und Chris!
Literatur:ADORNO, Theodor W. (1969): "Resignation", in: "Kritik: Kleine Schriften zur Gesellschaft", Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main. HEINRICH, Michael (2005): "Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung", 3. Auflage, Schmetterling Verlag, Stuttgart. MARX, Karl (1867): "Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie", 1. Band, 21. Auflage, MEW 23, Karl Dietz Verlag, Berlin.