Dat Homophobe-Ragga nah turn me ah!

10.11.2003, 17:31

2003 wiesen wir das erste mal darauf hin, dass die Diskussion um homophoben Reggae, Ragga und Dancehall auch innerhalb der Poplinken diskutiert werden muss. In hiesigen Clubs feiern Jugendlche und Studenten ihre vermeintliche Toleranz und Weltoffenheit, während Sänger im Hass "Burn da chi-chi-man" (dt.: "Verbrenn die Schwuchtel") brüllen.

Am Wochenende ist es wieder so weit. Ein bratwurstduftendes Open Air, auf dem sich liebenswürdige Normalos und rastaseelige Dreadlockträger zum Roots Reggae-Konsum verabreden. Die einen in purer Schunkellaune, die anderen rennen einem paradiesischen Urzustand hinterher und der Rest sucht vielleicht ein letztes Überbleibsel konsumierbarer Revolution.

Es soll nicht um Äußerlichkeiten gehen. Weil es genau das große Problem im Reggae, Ragga und Dancehall ist. Es wird pauschal als multikultureller und weltoffener "Riddim" vereinahmt. Das ist ein Vorurteil. Und ein Problem.

Viele, zumeist aus Jamaika kommende Künstler sind eben nicht so weltoffen und multikulturell wie bunte Mützen und bekiffte Gesichtsausdrücke vermuten lassen. Beim beleuchten ihrer Songtexte eröffnet sich oft eine ziemlich rassistische und sexistische Welt. Frauen werden zum Sexobjekt degradiert und sich aufdrängende Schwulenfeindlichkeit erinnert an erzreaktionäre Christen oder faschistisches Weltbild. Homosexualität sei ?unnatürlich? und ?wider der Natur?. Dabei rede ich wirklich nicht von ?einigen wenigen Ausnahmen?. Diese popkulturell zelebrierte schwulenfeindliche Omnipräsenz wird auch auf gesellschaftlich-politischer Ebene manifestiert. Es gibt sogar Gesetze gegen Queers. Wusstet ihr, dass es in Jamaika für Analverkehr bis zu zehn Jahre Gefängnis geben kann? Oder dass die Jamaican Labour Party eine Wahlhymne zu Verbrennungen von Schwulen aufgerufen worden ist? Im ETUXX heißt es dazu:

?Die Homophobie in Jamaica ist leider nicht vom Rastafari-Movement zu trennen. Im Gegenteil sogar: Die wesentlichen Musiker der Insel, die uns so einflussreiche Stile beschert haben, wie Ska, Reggae, Dub, Dancehall... hatten und haben als bekennendende Rastas einen wesentlchen Anteil am ?Queer Bashing?. Minderheiten, die es offenbar nötig haben, Minderheiten zu verfolgen, verhalten sich leider nicht rücksichtsvoller als Mehrheiten, die dies tun.?

Nicht umsonst wird schwulen Jamaikanern in Groß Britanien Asyl gewährt. Die Briten vertreten die Ansicht, Homophobie ist in Jamaika eine ?Bedrohung? für Leib und Leben". In jamaikanischen Mainstream-Charts haben sich solche minderheitenfeindliche Musiken längst etabliert. Auch in den deutschen Ragga-Dancehall-Höhlen laufen ?Chi Chi Man?* von T.O.K. oder Buju Banton mit ?Boom Bye Bye? (Textauszug: ??Batty Boy* get up and run, ah gunshot in ah head, man!??). Auf einem Flyer in Österreich von Radio Rebel wurden Schwule und Lesben direkt ausgeladen ... leicht versteckt in der jamaikanischen Mundart: ?Batty Fucka and Lesbian Bulldagga Gyals?.

Es ist halt leicht, Menschen aufgrund ihrer Muttersprache Offenheit und gute Laune zu unterstellen. Dies sagt aber mehr über den Philorassismus der Musikkonsumenten aus, als über die Motive und Ansichten der Musiker. Nicht jedes Lied ist fröhlich ist, sondern vieles in Hass getunkt oder auf Unterdrückung aufgebaut.

Es ist schade, dass die so gefeierten Künstler so stark geistig und haschisch-umnebelt zu sein scheinen, dass sie nicht einmal mehr die Größe haben, den Hörern eine andere Sichtweise zu geben, als es die jamaikanische Politik tut. Mit ihrer Musik verschärfen sie statt dessen den Hass. In Ilmenau besuchte ich Arschwackel-Parties ("Bumble Bees in da Bam-Bam" aka. "Hummeln im Hintern") und fand die Musik zumindest irgendwie abhäng-kompatibel. Der Stil schien nicht so plastisch ausgehöhlt wie spätestens seit Mitte der 90er Jahre Rap & Hip Hop. Die rotzige Stimme und die Beats erweckten aufrührerische Momente, wie man sich hierzulande Protestmusik vorstellt. Das war zu eurozentristisch. Ich fand es zu platt, einfach dumm abzutanzen, ohne ein Wort zu verstehen und wollte hinterfragen ... DJane Pebbles, Tochter des damaligen Kanzlers der TU Ilmenau, gab mir die Antworten jener Musik, welche sie an Discoabenden unter die Leute brachte.

Discos, Konzerte und Parties, bei denen solche Inhalte nicht reflektiert werden, sollten boykottiert werden.

 

Footnotes
*Übersetzungen:
Chi Chi Man = negativ beschimpfend gemeinte Bezeichnung für schwuler Typ, Schwuchtel
Batty Boy = Schwuchtel (Batty ist eine Wortkreation aus "to bat" (z.B. einen Ball abschlagen) und "Butt" (Popo) in Anlehnung auf sexuelle Praktiken)

Quellen
?Jamaican gays flee to save their lives? von Tony Thompson, The Observer vom 20.10.2002
?Was ist ein Protestsong?? von Günther Jacobs, Subzero Österreich
etuxx.com
DJane Pebbles




Contact info

unterm durchschnitt
Andreas Wildner
Im Kamp 2
D-50859 Cologne
Germany / EU
recycled or reused mailer prefered.

0049(0)221.22200050
info@.unterm-durchschnitt.de
www.unterm-durchschnitt.de

Grrr Mailorder
Freibank Music Publishing
The Mensch Gap
Broken Silence
I Can't Relax in Deutschland